Eine Frage der Ehre

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Gilt Golf noch als „Game of Honor“? Wie steht es um Anstand, Höflichkeit, Rücksichtnahme und Beherrschung? Eine Reflexion über den mit Emotionen aufgeladenen Spannungsbogen zwischen Etikette und Zeitgeist. Eine Frage der Ehre.

Was ist ein Treuegelübde wert? Beziehungsweise was kostet es, eine Ehrenerklärung in Schall und Rauch aufgehen zu lassen? Für den Golfsport lässt sich das sehr aktuell beantworten: 125 Millionen Dollar. Die streicht der zweifache Major-Sieger Dustin Johnson als Garantiesumme für den Abgang auf die als LIV Golf Invitational Series verbrämte Saudi-Liga ein, nachdem er im Februar geschworen hatte: „Ich stehe voll und ganz zur PGA Tour.

Ein jeder hat halt seinen Preis, der muss ihm bloß geboten werden; und dem ebenso frisch wie teuer vermählten „D. J.“ reichen nun mal 74 Millionen Dollar nicht, die er in bislang 15 Profi-Jahren an Preisgeldern verdient hat, wenn es „das Beste für meine Familie und mich“ sein soll. Indes, die Profiszene, wo es immer mehr ums Kassemachen geht, ist vielleicht nicht das ideale Exerzierfeld, um über Golf als „Game of Honor“ zu reflektieren, als Spiel von ­Ehrenleuten.

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Harvey Penick, der Golfweise, hat es so bezeichnet; die Trainer-Ikone war bei weitem nicht der Einzige. Bob Jones Jr., den alle Welt Bobby nennt, fällt einem sofort ein: Der Gentlemen-Golfer gab den Amateurstatus auf, als er mit dem Lorbeer seines überragenden Spiels Kasse zu machen begann – durch Lehrfilme für die Warner-Bros.-Filmstudios und als Berater der Schlägerfirma Spalding beispielsweise.

Ohnehin prägte der größte Amateur aller Zeiten den ultimativen Leitspruch: „Golf is the closest game to the game we call life. You get bad breaks from good shots; you get good breaks from bad shots – but you have to play the ball where it lies.“ Mehr Vademecum in Kürze ist kaum möglich. Diese zwei Sätze allein heben Golf auf eine metaphorisch-spirituelle Ebene, selbst wenn das spätestens heutzutage am Steilhang von Rastlosigkeit, mangelnder Reflexion und Werteverlusten fast kitschig klingen mag. Nimm die Dinge, wie sie kommen, trage es mit Fassung und versuch stets, das Beste daraus zu machen, wollte Jones mit seiner Metapher vom Spiel des Lebens vermitteln. In einem Wort: Haltung.

Und ja, Golf ist tatsächlich ein seltsames, ein ambivalentes Spiel; eines, das Haltung braucht. Überfrachtet mit Paragrafen und „Decisions“ – trotz der Reform von 2019 –, ist jeder Akteur dennoch zuvorderst sein eigener Schiedsrichter. Das galt bereits, bevor die Gentlemen Golfers of Leith, besser bekannt als „The Honourable Company of Edinburgh Golfers“, 1744 das erste Regelwerk in Worte kleidete und 13 Wettspiel-Grundsätze niederschrieb. Und es gilt bis heute – egal, ob für Hobbyspieler beim Monatsbecher oder für Professionals, die selbst bei Majors nicht permanent von Referees überwacht und ab und an in Charakterfestigkeit geprüft werden. Wie Bobby Jones bei den US Open 1925 im Worcester Country Club nahe Boston, als er sich einen Strafschlag aufschrieb, weil sich sein Ball beim Ansprechen im Rough bewegt hatte.

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Was niemand mitbekommen hatte – weder Jones’ Caddie noch Kombattant Walter Hagen –, kostete den Aufrechten aus Atlanta die alleinige Führung und letztlich den Major-Titel, weil er am Ende das Stechen verlor. Hernach beschied Jones seinem Haus-und-Hof-Chronisten O. B. Keeler, nicht eine einzige Zeile über sein Fairplay zu verlieren: „Sie könnten mich genauso gut dafür loben, dass ich keine Banken ausraube.“

Solcher Beispiele gibt es glücklicherweise auch in der Moderne genug: Profis, die sich selbst anzeigen und bestrafen, deswegen womöglich zigtausend Dollar verlieren, andererseits hingegen dem „Spirit of the Game“ gerecht werden. Wieder so eine tradierte Floskel, die in den Zeitläuften unter die Räder zu geraten droht. Oder es gar schon ist.

Womit das Stichwort Etikette fällig wird, die beim pfleglichen Umgang mit dem Platz beginnt und beim Spieltempo längst nicht endet. Letztlich ist sie ebenfalls ein Synonym für Haltung. Oder für Integrität. Gemeint sind Formalien und Verhaltensweisen, die vom allgemeinen Konsens definiert sind und der Idee entspringen, Golf sei „A Game of Honor“.

Doch was bedeutet dieser Terminus überhaupt noch? Für jeden sicher etwas anderes – in einer Welt gravierender gesellschaftlicher Veränderungen und Verwerfungen, in der Werte zerfleddern und Konventionen vom Zeitgeist verweht werden; in der vieles kann und fast nichts mehr muss; in der Traditionen und Konventionen, Sitten und Bräuchen das Stigma des Ewiggestrigen angeheftet wird? Oder anders: Kaum etwas ist so sehr mit Emotionen aufgeladen wie der Spannungsbogen zwischen Selbstlosigkeit und Selbstbetrug, zwischen Ehrpusseligkeit und entspanntem, nicht selten jedoch als ehrenrührig empfundenem Laisser-faire. Man denke nur an die immer wieder aufflackernden Dresscode-Debatten, in denen sogar der Hoodie oder das Tiger-Shirt mit Turtleneck zum Gegenstand krasser Kontroversen wird.

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Das Ausbessern von Divots und Pitchmarken, das Harken von Bunkern, das Nichtbetreten gesperrter oder sensibler Bereiche oder der Warnruf „Fore“ verstehen sich eigentlich von selbst – viele halten sich leider nicht mehr dran. Selbiges gilt für den Leitsatz: „Deine Position auf dem Platz sollte idealerweise hinter dem Flight vor dir und nicht vor dem Flight hinter dir sein!“

Es dreht sich auch beileibe nicht allein darum, verirrte Bälle in einem unbeobachteten Moment per Leder-Wedge, sprich Schuhsohle, aus dem Rough in eine günstigere Lage zu kicken. Oder um den x-ten Mulligan, den sich einer sogar auf dem Grün noch genehmigt. Eigentlich sollte die Scorekarte unsere ultimative Ehrenerklärung sein. Stattdessen lautet ein geflügelter Spruch: „Spiel 6, zähl 5, schreib 4.“

Das alles ist schlimm genug, erst recht, wenn am 19. Loch damit geprotzt wird. Um erneut Bobby Jones zu zitieren: „Wenn du beim Golf schummelst, dann betrügst du vor allem dich selbst.“

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